Einige Gedanken zur Situation der Entwicklung im Elektromaschinenbau, zu der Situation der Elektromaschinen-Berechnung und zu den Folgen an den Hochschulen durch den Wandel in den letzen 50 Jahren.

In den letzten 50 Jahren gab es im Elktromaschinenbau genau wie auch in anderen Branchen eine grosse Veränderung. Die klassische Elektromaschinenfabrik, die nahezu alle Maschinengattungen herstellt, gibt es nicht mehr (Beispiel: MFO und EMB in der Schweiz; Conz und Piller in Deutschland).

Damit hat sich auch das Berufsbild des Berechnungsingenieurs für elektrische Maschinen stark geändert. Den damals guten Berechnungsingenieur, der in kürzester Zeit fähig war, fast alle Maschinengattungen sofort ohne Prototyp verkaufsfähig zu entwickeln, gibt es nicht mehr. Durch die Einführung des PC in die klassische Berechnung ist auch der Bedarf an Ingenieuren stark zurückgegangen. Dies führt aber auch zu einer ernsten Minimierung der Anzahl besonders fähiger Maschinen-Entwickler. Um es noch deutlicher zu sagen:
Nimmt man an, dass von allen Entwicklern 10 % besonders fähig sind, so hatte man früher vielleicht von 100 Ingenieuren 10 besonders fähige, bei heute von 10 aber nur einen. Das heisst, dass neben den geringen Angeboten der Industieausbildung in der Typenvielfalt auch noch ein starker Mangel an besonders fähigen erfahrenen Berechnern für Elektromaschinen jetzt schon vorhanden ist bzw. sich noch weiter verstärken wird. Dazu kommt das Folgende:
Da es möglich ist, durch Entwicklung in der Antriebselektronik verhältnismässig schnell spektakuläre Erfolge zu erziehlen, indem man die elektrische Maschine als einen vorhandenen Vierpol mit bekannten Eigenschaften ansieht, haben wiederum nur wenige Ingenieure Interesse, sich der grossen Mühe zu unterziehen, Entwicklungen und Forschungen an der Maschine selbst vorzunehmen. Es gibt zwar noch viele ungelöste Probleme an den Maschinen, deren Lösung ist aber mühselig und auf keinen Fall spektakulär. Dies kann man auch daran erkennen, dass heute praktisch keine oder nur sehr wenige Fachaufsätze in den Zeitschriften veröffentlicht werden.

Aus dem Vorangegangenen wiederum folgt eine starke Veränderung der Situation an den Hochschulen

1.) Die Anzahl der Elektromaschinenbau-Studierenden ist stärker als in anderen Fakultäten geschrumpft.

2.) Die Anwerbung von Lehrkräften mit vielfältigen Erfahrungen in der Berechnung von Elektromaschinen wird immer schwieriger oder schon jetzt fast nicht mehr möglich.

3.) Aus wirtschaftlichen Gründen werden daher die klassischen Institute für elektrische Maschinen in Institute für Antriebe umgewandelt.

4.) In den neuen Instituten für Antriebe wird die klassische Berechnung elektrischer Maschinen nur noch gestreift. Man konzentriert sich auf die Eigenschaften elektrischer Maschinen, um die Grundlagen für die Forschung und Entwicklung von Antriebspaketen zu vermitteln. Geforscht und entwickelt wird dann nicht mehr an den Elektromaschinen des Antriebes, sondern in erster Linie an der Elektronik.

5.) Die wenigen Studierenden, die sich dennoch für die elektrischen Maschinen interessieren, konzentrieren sich auf die Lösung einzelner Probleme durch digitale Bearbeitung mit Finite-Elementen-Programmen. Damit kann man zwar Einzelprobleme hervorragend lösen, aber man erhält keine Übersicht und Erfahrung über die ganzheitliche Entwicklung elektrischer Maschinen.

Dipl. Ing. Rolf Meyer
4310 Rheinfelden
Bulletin SEV 18/2003 Jahrgang 54 Seite 45 Leserbrief